Maitripa: Die Essenz von Mahāmudrā
Verehrung der innersten Glückseligkeit!
Wenn ich Mahāmudrā erklären sollte, so würde ich sagen -
alle Erscheinungen? Dein eigener Geist!
Wenn du im Außen nach einem Sinn suchst, wirst du verwirrt.
Erscheinungen gleichen einem Traum, sie sind leer von einer wahren Natur.
Der Geist ist einzig ein Fluß des Bewußtseins,
keine Selbstnatur: einfach ein Energiefluß,
keine wahre Natur: einfach wie der Raum.
Alle Erscheinungen sind so, himmelsgleich.
Das ist Mahāmudrā, wie wir es nennen.
Es hat keine Identität, die gezeigt werden kann;
daher ist die Natur des Geistes selbst
gerade jener Zustand der Mahāmudrā
(weder gemacht noch sich wandelnd).
Wenn du diese grundlegende Wirklichkeit tief verstehst,
dann erkennst du alles was kommt und geht als Mahāmudrā,
den alldurchdringenden Dharmakāya.
Ruhe in der wahren Natur, frei von allem Erdenken.
Meditiere, ohne nach dem Dharmakāya zu suchen —
er ist jenseits von Gedanken.
Wenn dein Geist sucht, verwirrt sich deine Meditation.
Es ist wie der Raum, oder wie eine magische Vorführung,
da gibt es weder Meditation, noch Nicht-Meditation,
wie könntest du getrennt sein, oder vereint?
Ein Yogi sieht dies So!
Bist du aller heilsamen und unheilsamen Dinge
als der grundlegenden Wirklichkeit gewahr,
dann findest du Befreiung.
Neurotische Emotionen sind (die Basis) große(r) Einsicht,
wie Holz für ein Feuer, so sind sie für den Yogi Brennstoff!
Was sollen die Worte „Kommen oder Verweilen“?
Oder „Meditieren“ in Einsamkeit?
Wenn du dies nicht verstehst,
so kannst du dich nur oberflächlich befreien.
Doch wenn du verstehst, was könnte dich fesseln?
Verweile in einem unzerstreuten Zustand.
Körper und Geist auszurichten führt nicht zur Meditation,
und das Anwenden von Techniken ebensowenig.
Schau, nichts wird letztlich erreicht.
Versteh, alles Erscheinende hat kein inhärente Natur.
Die wahrgenommenen Erscheinungen:
der Bereich der Wirklichkeit, aus sich selbst heraus befreit.
Die wahrnehmenden Gedanken:
offene Achtsamkeit, aus sich selbst heraus befreit.
Nicht-Dualität, Einheit [von Subjekt und Objekt]:
der Dharmakāya.
Wie ein unablässig fließender, weiter Strom,
welche Welle auch immer, sie enthält die Bedeutung,
sie ist der zeitlose, erwachte Zustand —
Große Glückseligkeit ohne jeden samsarischen Bezug.
Alle Erscheinungen sind leer von einer inhärenten Natur,
der Geist, der sich an die Leerheit hält,
verschmilzt mit seinem eigenen Grund.
Freiheit von allem Konzeptualisieren
ist der Pfad aller Buddhas.
Ich habe diese Zeilen zusammengestellt,
auf daß sie bis in kommende Zeiten fortwirken mögen.
Mögen durch diese Tugend alle Wesen ohne Ausnahme
in dem erhabenen Zustand von Mahāmudrā verweilen.
Colophon:
Dies ist Maitripas 'Essentielle Mahāmudrā Anweisung'
(auf tibetisch: Phyag rgya chen po tshig bsdus pa),
so wie sie der tibetische Übersetzer Marpa Chökyi Lodrö
von Maitripa selbst erhalten und übersetzt hat.
Die Tibetisch-Englisch Übersetzung von Nicole Riggs findet sich auf:
www.keithdowman.net/guestpage/maitripa.htm
© Tibetan-English Translation by Nicole Riggs 1999.
Reproduction welcome if not for profit and with full acknowledgement.
© Deutsch-Übertragung von M.B. Schiekel, 2011.
Weitergabe auf Non-Profit Basis und mit vollen Quellenangaben erlaubt.
B. Nāropa: Mahāmudrā in Kürze
Ich verbeuge mich vor der Großen Glückseligkeit
und werde Mahāmudrā erläutern.
Alle Erscheinungen sind dein eigener Geist;
die Wahrnehmung äußerer Objekte ist eine Gestaltung des Geistes;
wie ein Traum sind sie leer von einer wahren Natur.
Auch der Geist ist nur ein Fluß von Wahrnehmungen und Gedanken,
er ist ohne eine wahre Natur, [wie] die Kraft des Windes,
er ist leer von einem Selbst, wie der Himmelsraum.
Alle Erscheinungen sind so, gleichen dem Himmelsraum.
Das, was Mahāmudrā genannt wird,
sein Wesen kann nicht gelehrt werden.
Daher ist die unwandelbare Natur des Geistes
die Natur von Mahāmudrā.
Wenn jemand diese Wirklichkeit erkennt,
dann sind alle Erscheinungen Mahāmudrā,
der große, alldurchdringende Dharmakāya.
Ruhe natürlich in unausgedachter Gelassenheit.
Der Dharmakāya ist jenseits aller Vorstellungen.
Meditiere, indem du ruhst ohne zu suchen.
Ein Suchen in der Meditation ist ein verwirrter Geist.
Da gibt es weder Meditation noch Nicht-Meditation,
einfach nur magische Erscheinungen im Himmelsraum,
wie könnte es also Freiheit oder Nicht-Freiheit geben?
Der Yogi, der das erkennt
wird durch dieses Verstehen
vom Karma aller heilsamen und unheilsamen Handlungen befreit.
Die Verunreinigungen sind (die Basis) große(r) Weisheiten,
sie sind, gleich dem Feuer im Wald, die Begleiter des Yogi.
Wo kann es dort ein Gehen und Verweilen geben?
Was kann es für eine Meditation in der Zurückgezogenheit geben?
Wer dies nicht verwirklicht,
erfährt noch nicht einmal oberflächliche Befreiung.
Was kann jemanden binden, der dies verwirklicht hat?
Das unzerstreute Verweilen in jenem Zustand,
ohne Veränderung von Körper oder Geist und ohne Meditation,
'Weder ruhend noch nicht-ruhend in Gleichmut'.
Nichts hat eine Wirklichkeit in Diesem.
Erscheinungen befreien sich aus sich selbst heraus (ganz natürlich),
sie sind der Dharmadhātu,
Verwirklichung befreit sich aus sich selbst heraus (ganz natürlich),
sie ist die große Weisheit,
diese immergleiche Nicht-Dualität ist der Dharmakāya.
So wie das unablässige Fließen eines großen Stromes,
der zugleich doch verweilt, so enthält er die Bedeutung,
er ist immer die Buddhaschaft,
ohne Objekte des Saṃsāra; er ist die große Glückseligkeit.
Alle Phänomene sind leer von einem eigenen Selbst;
der Verstand, der Leerheit versteht, wird spontan geläutert;
im konzeptfreien Geist gibt es nichts zu tun.
Dies ist der Pfad aller Buddhas.
Für jene karmisch besonders Begünstigten
habe ich diese essentielle Lehre zusammengefaßt.
Mögen dadurch alle Wesen ohne Ausnahme
in Mahāmudrā verweilen.